Als Reaktion auf einen Artikel im Standard zum Einsatz von Familienräder in der familiären Logistik argumentierten LeserInnen des Artikels im Forum, dass es unverantwortliche wäre, Kinder ohne Helm in einem Bakfiets im Wiener Straßenverkehr zu transportieren.
Ich möchte zeigen, dass das nicht so ist.
Helmpflicht für den Kinderwagen?
Zwar ist der Vorwurf aus einer autozentrierten Sichtweise nachvollziehbar. Die Angst der Autofahrerin davor, eine Radfahrerin abzuschießen, ist groß. Diese Sicht verkennt dabei aber die Möglichkeit des Radfahrers, auf kleineren Straßen zu bleiben. Und dort dient ein fahrender Untersatz als Scheibtruhe, Kinderwagen, oder beides in einem.
Weder wenn ich meine Kinder in einer Scheibtruhe, noch in einem Kinderwagen transportierte, würde ich ihnen einen Helm aufsetzen. Genauso wenig möchte ich gezwungen sein, meinen Kindern einen Helm aufzusetzen, nur weil es mit einer Vorrichtung zur Übertragung der menschlichen Kraft auf Antriebsräder ausgestattet ist. Weil wir kaum an Hauptverkehrsstrecken fahren und Hernals einfach schöner ist abseits der Hauptstraßen. Wo man zwar nicht schnell aber sicher vorwärts kommt. Mit oder ohne Helm.
Deswegen eine Geschichte darüber, warum wir gegen die Helmpflicht sind.
Kinder unter 12 Jahren müssen in Österreich beim Transport auf Familienrädern sowie beim selber Radfahren einen Helm
tragen. Die Radlobby hat das hier gut
zusammengefasst. Ist so - und wird sich in nächster Zeit wohl auch nicht ändern. Warum wir das nicht gut finden?
Die Helmdiskussion ist eine Endlosdiskussion - und soll hier nicht von vorne aufgerollt werden. Holger Dambeck hat im Spiegel Online die wesentlichen Punkte der Diskussion zusammengefasst - seinerzeit von der Velocity Konferenz aus Wien berichtend. Auch der deutsche ADFC hat einige Diskussionspunkte zusammengetragen und im Guardian ist erst letztens wieder ein viel diskutierter Artikel von Peter Walker erschienen. Und immer wird die Diskussion um den Helm emotional, zumindest in Ländern, in denen Helme getragen werden.
Das hat mit körperlicher Sicherheit zu tun. Denn natürlich wollen wir alle unsere Kinder sicher transportieren. Schließlich sind wir gute Eltern. Aber braucht es dafür wirklich die Helmpflicht? Und muss auf jedem Kinderkopf bis 12 ein Helm stecken?
Bei längeren Fahrten tragen meine Kinder am Familienrad einen Helm, also zumindest wenn wir in Wien fahren. In Brüssel hatten sie eigentlich nie einen Helm auf. Ist dort auch nicht Plicht.
Sie sind auf jeden Fall aber angegurtet. Ein Gurt ist wichtig, weil bei stärkerem Bremsen auch bei niedrigen Geschwindigkeiten die Kinder nach vorne fallen und sich die Nase blutig schlagen können. Ist uns noch nie passiert, sie waren ja angegurtet, könnte sonst aber durchaus passieren. Wollen wir aber nicht.
Außerdem ist ein Gurt praktisch, wenn die Kinder einschlafen.
Einen Helm hatten wir in Belgien also nie dabei. Dort gibt es eben keine Helmpflicht. Waren wir deswegen verantwortungslose Eltern?
Mit einem Familienrad transportierst du eine ziemlich wertvolle Ladung. Priceless, sozusagen. Du fährst daher äußerst passiv, passt deine Geschwindigkeit an und bremst vorausschauend. Trotzdem gibt es die Forderung nach einer Helmpflicht.
Eine bereits etwas ältere Studie hat jedenfalls zusammengefasst, dass es keinen Zusammenhang zwischen Helmpflicht und der Anzahl an Kopfverletzungen gibt. Die Helmpflicht führt also nicht notwendigerweise zu weniger Verletzungen. Warum dann also die Helmpflicht einführen?
Es ist daher wahrscheinlich die irrationale Angst der Nicht-RadfahrerInnen, die diese Helmpflicht seinerzeit entstehen ließ und bis heute aufrecht erhalten lässt.
Faktum ist jedenfalls, dass generell die Helmpflicht vom Radfahren abhält. Das konnte in Australien gut beobachtet werden, als der Radfahranteil am Gesamtverkehrsaufkommen nach Einführung von Helmpflicht und hohen Strafen bei Zuwiderhandlung stark gesunken ist. So sind entwa große Fahrradverleihsysteme mit einer Helmpflicht nur viel teurer anzubieten.
Funfact: In Bosnien wurde übrigens dieser Tage die Helmpflicht wieder aufgehoben.
Helmpflicht in der Scheibtruhe.
Auf kurzen Strecken, etwa in der Früh zu Kindergarten oder Tagesbetreuung, tragen unsere Kinder nicht immer einen Helm. Nous confessons. Erstens ist die Strecke sehr kurz, zweitens wenig autobefahren, drittens ist das Familienrad eigentlich unser Kinderwagen, und im Kinderwagen haben unsere Kinder noch nie einen Helm getragen. Wir fahren zwar manchmal im Fließverkehr, aber eigentlich gibt es so viele schöne Wiener Hinterwege und Kleinstraßen, wo man das Bakfiets schieben und langsam gleiten kann.
Safety in numbers. Und dann die eigene Wahl. Denn auch ich versuche immer, das Leben meiner Kinder zu schützen. No na, quasi.
Viertens belegen eine Reihe von Studien, dass die Städte mit den wenigsten Radunfällen jene Städte sind, in denen der Radverkehrsanteil sehr hoch ist (Utrecht, Kopenhagen, Amsterdam, you name them). Das sind alles Städte, in denen es keine Helmpflicht gibt und fast niemand einen Helm trägt.
Je mehr RadfahrerInnen, desto weniger Unfälle. Safety in numbers also.
Helmpflicht führt zu weniger Radverkehr.
Eine Helmpflicht führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Radverkehr. Ist so. Kann etwa in der Studie "The Health Impact of Mandatory Helmet Laws" von Piet de Jong nachgelesen werden.
Wenn man weniger Radverkehr will, ist eine Helmpflicht eine wirksame Maßnahme, das zu erreichen.
Wenn man umgekehrt aber mehr aktive Mobilitätslösungen will, was beispielsweise Wien in der städtischen Mobilitätsstrategie bis 2025 ja auch tun, ist die Helmpflicht schlecht, für Erwachsene, und für Kinder, und zwar egal ob sie selber radeln oder mit dem Familienrad mitfahren.
Was aber umgekehrt nicht heißt, dass man seine Kinder unbedingt ohne Helme führen soll. Ich setze ihnen bei längeren Fahrten jetzt auch einen Helm auf. Weniger weil ich meinen autofahrenden MitverkehrsteilnehmerInnen und ihren mit hohen Geschwindigkeiten bewegten Massen nicht ganz traue (das aber auch), denn ich vermeide sie ohnehin proaktiv, und so schlecht ist unsere Radverkehrsinfrastruktur in Wien auch nicht. Sondern mehr weil ich mir Diskussionen mit der Exekutive ersparen möchte, die auf die Helmpflicht als geltendes Recht weist.
Freie Fahrt!
Ich plädiere jedenfalls im Fall der Helmpflicht für die viel zitierte Wahlfreiheit: Freie Fahrt für freie Kinder sozusagen. Mit Helm oder ohne Helm. Im Kinderwagen, in der Scheibtruhe, oder im Bakfiets.
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